Wie gotisch ist das gotische Viertel ? Der andere Rundgang

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Eigentlich verdächtig, dass ein Altstadtviertel auch noch gotisches Viertel heisst. Die Menschen der Gotik wussten ja nicht, dass man ihre Epoche in ferner Zukunft so bezeichnen würde. Es gibt ja auch kein Rennaissance – Viertel in Florenz. Tatsache ist: Die Altstadt Barcelonas gab es natürlich schon im Mittelalter, aber was ist wirklich historisch und was nicht?.

Die Fassade der Kathedrale von Barcelona
Die Kathedrale hat durchaus ihren Charme, auch wenn Besucher aus Köln oder Strassburg wohl etwas mehr erwarten. Dabei hat sich viel getan, aber erst vor ungefähr 100 Jahren. Davor machte Sie wirklich nicht viel her, denn die Fassade wurde erst im Jahre 1913 fertiggestellt. Die Finanzierung übernahm der umtriebige Bankdirektor und Industrielle Manuel Girona y Agrafel. Die Stadt dankte es ihm und reservierte für ihn und seine Familie eine Grabstätte in der Kathedrale.

Kathedrale Barcelona gotisches Viertel

Die Kathedrale von Barcelona. Links um 1900, rechts mit renovierter Fassade aus dem Jahre 1913

 

Das römische Aquädukt
So manch ein Tourist steht ehrfürchtig mit einem Stadtführer vor dem skurrilen Mauerwerk, das von der Kathedrale direkt in die Plaza hineingebaut wurde. Den immerhin handelt es sich um Überreste aus dem römischen Imperium und so steht das ja auch in Google Maps. Was nur wenige wissen, das Gemäuer ist gerade mal 60 Jahre alt.

gotishes Viertel Barcelona

Reste eines „römischen“ Aquädukts. Tafel mit Baujahr in römischen Zahlen.

Gotisches Viertel Plaza Nova
Die Erbauer haben auch ausdrücklich darauf hingewiesen, aber eben auf der abgewandten Seite, stilecht mit römischer Schrift und das Jahr der Fertigstellung in römischen Zahlen.
Der Umrechner gibt Aufschluss und beweist: Es handelt sich um den modernsten „römischen“ Bau der Geschichte, eingeweiht im Jahre MCMLVIII, das ist 1958, also mitten unter der Franco – Diktatur.

 

Die Bischofsbrücke Ponte del Bisbé
Gleich hinter der Kathedrale befindet sich eines der schönsten Motive des gotischen Viertels und mit etwas Fantasie kann man sich vorstellen, wie mittelalterliche Würdenträger von einem Gebäude zum anderen schreiten. Auf der unteren Seite guckt auch noch ein Totenkopf hinab, durchbohrt von einem Dolch. Fast schon zu viel des Gotischen, oder?

Tatsächlich stammt der Bau von einem Schüler Antoni Gaudis, Joan Rubió i Bellver und wurde 1928 eingeweiht. Die ersten Würdenträger spazierten in den 30-er Jahren vom Regierungssitz Generalitat zur Casa dels Canonges. die als Residenz der katalanischen Präsidententen diente.

Cases dels Canonges (Haus der Stiftsherren)
Herr Rubió hat nicht nur diese herrliche Brücke hinterlassen, sondern gotifizierte auch gleich den Gebäudekomplex den die Brücke mit den Regierungspalast verbindet. Die Bauten stammen tatsächlich aus dem vierzehnten Jahrhundert, machten aber nicht viel her. So nahm Herr Rubio ein Handbuch über gotische Architektur und setzte einige Fenster hinein. Merkt doch keiner, oder?

Gotisches Viertel Casa dels Canonges

 


Casa Padellàs – Historisches Museum (MUHBA)

Dieses Gebäude birgt eine ganz besondere Geschichte, denn es wurde Ende des 15. Jahrhunderts im angrenzenden Stadtteil Ribera gebaut. In den 30-er Jahren musste es einer Strassenerweiterung weichen und so liessen die Stadtväter das Haus Stein für Stein abbauen und errichteten es neu im gotischen Viertel. Wenn schon denn schon dachten sich die Baumeister und fügten im Nebengebäude gleich noch einige gotische Bögen hinzu. Heute beherbergt der recycelte Palast das Museo de Historia de Barcelona.

Gotisches Viertel Casa Padellás

 

Gotisches Viertel Barcelona – Warum sie es dennoch besuchen sollten

Barcelonier und Expats ahnen schon, dass so manches nicht ganz korrekt ist aber was solls. Auf das gotische Viertel lassen wir nichts kommen. Die Brücke ist eine kleine architektonische Perle und der Totenkopf? Er zwinkert hinab auf die Scharen von Touristen, die mit leichtem Gruseln ihr Handy hinhalten. Und ein römisches Aquädukt neben der Kathedrale ins Leere zu bauen?. Da muss man doch erst mal darauf kommen, oder?

Das Aufhübschen geht auf die nationale Wiedererweckung, der sogenannten Renaixença zurück. Die Katalanen besannen sich auf ihre Geschichte und ihre Entstehung als Nation und wollten sich und der Welt zeigen, wer sie sind, oder sein wollten. Immerhin war Barcelona 1929 der Austragungsort der Weltausstellung.  Auch das gehört zur Geschichte der Stadt und des Landes.

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Das gotische Viertel zeigt ein heiteres, geschminktes Mittelalter und wenn der abgedroschene Begriff „magisch“ auf etwas zutrifft, dann auf die lauen Sommernächte zum Beispiel auf der Plaça Reial, oder auf der Plaça del Pi, vor der echten gotischen Fassade der Basilika Santa Maria del Pi. Ein Rundgang durch dieses Viertel lohnt sich auf jeden Fall. Garantiert!

Shoppen
Für Liebhaber uriger Shops ist das gotische Viertel schon kein Geheimtipp mehr. Hier gibt es zum Beispel Vintage Noblesse wie im mythischen L’Arca de l’Àvia. Die Eigentümerin Nina Balmes ist bereits seit 50 Jahren im Geschäft und ihre Expertise in Sachen Vintage – Mode ist international geschätzt. So schauten auch die Produzenten des Films Titanic vorbei und liessen sich von ihr beraten. Viele Statisten, die im Hintergrund als First-Class Passagiere durch die Leinwand promenieren wurden von Nina Balmes ausgestattet.

Ein absolutes Muss ist der Stoffschuhhersteller La Manual Alpargatera. Top Mode zum fairen Preis, die aber nur für einen Sommer hält.

Kneipen
Die Gotik liefert den Hintergrund für einige der kreativsten Kneipen der Stadt. Nehmen wir die Sor Rita bar. Sie  steht für hemmungslosen Kitsch mit religiösem Hintergrund. Wenn sie ein geschmackvolles Ambiente für einen gediegenen Abend suchen, sollten sie diesen Ort jedoch meiden. Sor Rita eigentlich Schwester Rita. Leicht anders ausgesprochen, bedeutet es jedoch so viel wie Schlampe. Aber sehen sie selbst.

Die Kathedrale von Barcelona
Sehenswert allein schon wegen der 13 Gänse im Kreuzgang. Eine Alarmanlage der besonderen Art denn durch ihr Geschnatter sollen sie ungebetene Besucher abschrecken. Der Kreuzgang stammt aus dem 15. Jahrhundert. Hier befindet sich die Gruft der heiligen Eulalia, die Schutzheilige Barcelonas.

Plaça de Sant Jaume
Hier werden die wichtigsten Entscheidungen Kataloniens getroffen, denn hier stehen sich Regierungssitz und Rathaus gegenüber. Mit etwas Glück sieht man eine Limousine mit einem Minister oder gar dem Präsidenten vorfahren. Es ist der bevorzugte Zielort für politische Demonstrationen.

Plaça Reial
Plaza Real Barcelona Prächtige Arkaden mit klassizistischen Häusern umgeben diesen Platz, gleich neben den Ramblas. Hier stand bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein Kapuzinerkloster das bei einem Volksaufstand niedergebrannt wurde. Im Zentrum steht ein hübscher Brunnen, die „Fuente de las tres Gracias“ von 1867 und einige behelmte Laternen entwarf der junge Antoni Gaudi zu Beginn seiner Karriere als Jahrhundertarchitekt.

Plaça del Rei
Auf der Plaza del Rei befindet sich eine Gruppe von Gebäuden, die heute für Museen genutzt werden. Es war seit dem 13. Jahrhundert die Residenz der Grafen von Barcelona. Der Komplex umfasst den Saló del Tinell, einen riesigen gotischen Raum mit Bögen und die Capilla Santa Agata aus dem Jahre 1302. Auf der linken Seite befindet sich der Palau de Lloctinent aus dem Jahre 1549, das bis 1994 die Archive des Königreichs von Aragon beherbergte.

Manche Reiseführer behaupten, das Isabel und Ferdinand Christoph Kolumbus hier nach seiner Rückkehr aus Amerika empfangen hätten. Historiker bestreiten das jedoch und es gibt keinen Beleg dafür.

Der Augustus Tempel
Augustustempel Barcelona In einem kleinen Innenhof, ganz in der Nähe der Plaça de Sant Jaume befinden sich wirklich authentische Überreste des römischen Imperiums. Neun meter hohe Säulen, sind noch übrig geblieben von einem Tempel zu Ehren des Kaisers Augustus aus dem ersten Jahrhundert nach Christus. Ein historisches Kleinod, das oft auch in offiziellen Führungen nicht beachtet wird. Der Innenhof ist so klein, dass er in der Hochsaison hoffnungslos überfüllt ist.

Plaça Nova
Die Plaça Nova ist das Herz des gotischen Viertels und wurde 1355 gegründet. Bis 1940 war sie noch sie noch halb so gross wie jetzt. Nach den Bombardierungen im Bürgerkrieg wurden die einige baufällige Häuser abgerissen. Samstags ab 18:00 Uhr und sonntags ab 10:00 Uhr treffen sich hier Volkstanzgruppen und tanzen die katalanische Sardana. Startpunkt der meisten Rundgänge durch das gotische Viertel.

Synagoge Barcelona

Synagoge im jüdischen Viertel

Jüdisches Viertel
In den engen Gassen des jüdischen Viertels, El Call befand sich eines der wichtigsten Zentren der hebräischen Kultur Europas im Hochmittelalter. Hier lebten bis zu 4000 Juden bis zu ihrer endgültigen Vertreibung 1492. Sie lebten isoliert vom Rest der Stadt und mussten immer wieder mit antisemitschen Ausschreitungen rechnen. Im El Call Major befindet sich die Synagoge Salomo ben Adret,benannt nach dem geistigen Führer der katalanischen Juden im 13. Jahrhundert.

Chassan Jalloul

 

 

 

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