Die High Society Barcelonas grüsst aus dem Jenseits und zeigt seit der Einweihung des Friedhofs Montjuïc 1883 in bester Südhanglage, wer hier das Sagen hatte und wem die Stadt seinen heutigen Glanz verdankt. Ganz im Stile der Pharaonen hinterliessen Barcelonas Bürger der Nachwelt ihre ästhetische Sicht der Dinge. Pantheons grösser als manche Dorfkirche, modernistische Engelsdarstellungen, monumentale Mausoleen im gotischen Stil, vieles davon gelungen, manchmal etwas schräg. Die Geschichte der Stadt und ihre Stilrichtungen präsentieren sich hier wie in einer Legostadt, konzentriert auf 56 Hektar.
Ein Fest nicht nur für Touristen, sondern auch für Kulturschaffende. In seinem Bestseller „Das Spiel des Engels“ beschreibt der katalanische Schriftsteller Carlos Ruiz Zafón folgende Szene: „Ein blutiger Himmel überzog das Labyrinth von Kreuzen und Engeln rund um das große Mausoleum der Vidals auf dem Montjuïc-Friedhof. Eine schwarz verschleierte Trauerschar säumte das dunkle Marmorrund, das die Säulen vor dem Mausoleum bildeten. Jeder der Anwesenden trug eine hohe weiße Altarkerze. Im Licht von hundert Flammen wurde der Umriss eines großen, schmerzvoll blickenden Marmorengels auf einem Sockel sichtbar, zu dessen Füßen sich das offene Grab meines Mentors mit einem gläsernen Sarg befand.“
Video: Cementiri de Montjuïc
Autor: Cementiris de Barcelona
Ein Rundgang durch den Friedhof Montjuïc
Diskret angebrachte Hinweisschilder führen durch drei verschiedene Routen. Die erste Tour zeigt künstlerisch wertvolle Grabmäler, die zweite historische Persönlichkeiten. Wer sich nicht entscheiden möchte, wählt die dritte Tour und wer es gar nicht so genau nimmt, spaziert einfach so durch verwinkelte Treppen, herrliche Alleen und schmale Wege. Und da gibt es einiges zu sehen. Zugewachsene Marmorskulpturen oder frisch geschmückte, blankgeputzten Monumentalbauten. Eine Stadt für sich mit ca. 155 000 Einwohnern, verteilt auf bessergestellte Viertel oder Schachtelgräber. Alte Rivalitäten setzen sich hier in alle Ewigkeit fort. So konkurrieren die Familien Amatller und Batlló auch hier nebeneinander um die höchstmögliche Wertschätzung ihrer Bauten, wie schon im „Manzana de Discordia“, im Paseo de Gracia.
Die vorherrschende Stilrichtung der Bauten ist der katalanische Jugendstil (Modernisme) mit Engelsfiguren und fliessenden Formen. Der katalanische Jugendstil dominierte die Architektur und Kunst zwischen 1880 und 1920 und prägt die Identität der Stadt bis heute.
In den zwanziger Jahren hatten Literaten, Architekten und Kulturschaffende genug vom dekorativen Firlefanz und bevorzugten strenge, ernste Formen des sogenannten Noucentisme. Der Bildhauer Josep Clarà, dessen Skulptur „La Diosa“ auf der Plaza de Cataluña im Stadtzentrum aufgestellt ist, hat hier seine eigene Grabstätte geschaffen. Ernst und nachdenklich blickt die Frauengestalt seines Reliefs in den Himmel. Er hatte sie ein Jahr vor seinem Tod geschaffen. Ein weiteres Monument stammt von Josep Puig i Cadafalch höchstselbst. Eigentlich ist er einer der bekanntesten Vertreter des Modernismus und Erbauer unter anderem der Casa Ametller. In seinen späten Jahren neigte er zu strengeren Gestaltungen und baute für seine Schwiegermutter eine schlichte Säule mit einem mittelalterlichen Kreuz.
Andere wiederum bevorzugten das wahre Leben als Symbol für ihre Ruhestätte. Der Anatomieprofessor Dr. Francesc Farreras fand nichts dabei ein lebensgrosses Marmorskelett auf seinem Grabstein auszustellen. Ein anderes Monument des Bildhauers Enric Clarasó zeigt einen Mann, der sein eigenes Grab schaufelt.
Die Planer hatten ursprünglich einen herrlichen Panoramablick vorgesehen. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass in den Folgejahren einer der wichtigsten Frachthäfen Europas direkt am Fuss des Berges entsteht. Somit wird der Blick auf das MIttelmeer teilweise durch aufgestapelte Container, Lastkräne und Frachtschiffe versperrt. Auch mit der Stille war es jetzt vorbei. Hektisches Treiben vom Frachthafen und von der Ausfallstrasse Ronda Litoral dröhnt hinauf auf bis auf die Gipfel des Hausbergs der ewigen Ruhe.
Francos Massengrab Fossar de la Pedrera
Unweit des Friedhofs liegt ein gepflegter Rasen direkt vor einer Felswand. Hier verscharrten Francos Schergen ungefähr 4000 Menschen, die zuvor hinter den dicken Wänden der nahegelegenen Festung erschossen wurden. Die Namen vieler Opfer sind auf Säulen vor dem Eingang verzeichnet. 4000 Geschichten von brutaler Willkürherrschaft und Unterdrückung gegen Menschen, die in die Mühlen der Diktatur gefallen sind. Weil sie ihre Meinung sagten oder einfach weil sie am falschen Moment am falschen Ort waren.
Ein Mausoleum erinnert an Kataloniens Volksheld Lluis Companys, Minsterpräsident des Landes von 1933 bis 1940. Er wurde 1934 abgesetzt und auf der Flucht in Frankreich von der Gestapo an Spanien ausgeliefert. 1940 starb er im Hof der Festung unter dem Kugelhagel eines faschistischen Hinrichtungskommandos.
Der rätselhafte Name Montjuïc
Einige Historiker führen den Namen auf die Bezeichung „Muntanya dels Jueus“ zurück was so viel wie der „Berg der Juden“ bedeutet. Tatsächlich war der Berg bereits im Mittelalter der Standort einer jüdischen Grabstätte. Erst vor einigen Jahren entdeckten Archäologen ungefähr 700 Gräber. Vom Friedhof selbst ist jedoch nichts mehr übrig. Die wertvollen Steine der Grabmäler dienten nach der Vertreibung der Juden 1391 als Baumaterial für Gebäude in Barcelona. Wer aufmerksam durch die Altstadt schlendert, kann heute noch Spuren dieser Grabmäler entdecken, wie zum Beispiel im Palau del Loctinent, auf der Plaça del Rei gleich neben der Kathedrale.
Andere Historiker verweisen auf antike Texte aus dem römischen Imperium. Sie berichten von der Existenz eines antiken Tempels „Mont Jovis“ zu Ehren des Gottes Jupiter.
Prächtige Bestattungskutschen im Museum gleich nebenan
Im neunzehnten Jahrhundert wurden die Toten weit ausserhalb der Stadtmauern im Poble Nou bestattet. Der Respekt vor dem Tod verlangte einen Transport auf den Schultern der Freunde und Verwandte. Eine beschwerliche und vor allem gefährliche letzte Reise. Hungrige Wölfe und Strassenräuber fielen immer wieder über die Trauerzüge her, sodass der Bürgermeister kurzerhand den Leichentransport zu Fuss per Dekret verbot. Im Gegenzug suventionierte er über die Casa de Caritat einen gebührlichen Leichenzug mit entsprechend ausgestatteten Kutschen. 19 dieser Prachtkutschen und 3 Autos warten gleich neben dem Eingang des Friedhofs auf den Besucher. Leider nur samstags und sonntags warten hier wahrhaftige Kunstwerke auf Rädern. Immerhin: Der Eintritt ist kostenfrei.
Wie damals üblich gab es weisse Kutschen für Kinder und Hausmädchen. Die weisse Farbe symbolisiert die Unschuld der Verstorbenen. Immer wieder findet man die gleichen Symbole, wie den Uhu für die Weisheit, oder Fackeln, die den Weg zum Jenseits zeigen.
Das Museum zeigt eines der ersten Bestattungsautos Spaniens, einen Hispano Suiza aus dem Jahre 1920 und immerhin mit 59 PS.
Neben dem ehrwürdigen schwarzen Gefährt steht eine verchromte Schönheit aus dem Jahre 1950. Ein Buick Riviera mit V8 6-Liter Motor aus Amerika importiert und in Barcelona zum Bestattungsauto hergerichtet.
Barcelonatipps:
Jeden zweiten und vierten Sonntag um 11:15 führt eine Kunsthistorikerin interessierte Besucher kostenlos durch den Friedhof. Gruppenreservierungen: 0034-934 841 999
www.cbsa.cat/cementerios/cementiri-montjuic
Chassan Jalloul
Anfahrt mit dem Bus D20 oder 21 vom Port Olympic. (ca 66 min)